„migration mondays : KITCHEN STORIES“ 9
27.11. 2006
mit Sibylle Starkbaum & Abdelrahman Hawy
Nach einiger Überlegung, wen ich denn zu dem Küchengespräch einladen könnte, fiel meine Wahl auf einen mittlerweile langjährigen Freund von mir, Abdelrahman Hawy, kurz: Hawy (wie das bekannte Wiener Cafe)
Kennen gelernt habe ich den 34-jährigen gebürtigen Iraker bei einem Projekt rund um „Gilgamesch“ im Lalish Theaterlabor, wo wir damals beide als Performer mitwirkten.
Hawy lebt seit mittlerweile fast zehn Jahren in Österreich, ist bildender Künstler und hat eine bewegte Geschichte hinter sich:
Flucht aus der Heimat während des ersten Irakkrieges, weil er den Wehrdienst unter Saddam Hussein´ s Regime verweigert hatte (und darauf stand die Todesstrafe!) Ankunft in Österreich und monatelange Schubhaft, danach allmähliche Integration durch Unterstützung der Caritas; Geburt von Tochter Sarah und Heirat mit Katharina, der polnischen Mutter des Kindes; Abschluss eines Studiums an der Hochschule für angewandte Kunst für Bildhauerei und Druckgraphik in Wien, Erhalt der österreichischen Staatsbürgerschaft Zahlreiche Ausstellungen und Präsentationen seiner künstlerischen Arbeit in Österreich.
Der Abend in der Fleischerei verlief aus meiner Perspektive konzentriert und trotzdem unterhaltsam: Anfänglich ist Hawy ziemlich aufgeregt über die uneingeschränkte Aufmerksamkeit der Zuhörer (als bildender Künstler ist er doch Arbeiten vor Publikum nicht gewohnt!!). Wir kochen schlicht, aber schmackhaft: Gemüse mit Cous Cous, orientalisch gewürzt, dazu gibt es Rotwein und Tee aus dem Samowar. Der Inhalt seiner Erzählung und auch die Art und Weise seines Berichtens sind spannend und gut verständlich (PING-), ihm dicht an den Fersen bringe ich mich mit unterstützenden Fragen, Kommentaren und inhaltlichen Impulsen ein (-PONG). Wir zeigen Bilder und Druckgraphiken seiner Schaffensperioden, chronologisch von der Zeit der Schubhaft bis zu Arbeiten der letzten zwei Jahre über Sufismus.
Nach der Essenspause folgen Photos von seinem letzten Besuch in Bagdad im Jahre 2003, zum runden Abschluss des Abendprogramms (und des gesamten Zyklus der „migration mondays“), lese ich den letzten Absatz aus „Das Werk“ von Elfriede Jelinek.
Mir zu Ohren gekommene Rückmeldungen der Anwesenden waren durchwegs positiv, die Speisen, das Gespräch und die Gesamtstimmung betreffend.
Anderserlebende haben sich vielleicht so zurückgenommen, dass ich deren Langeweile einfach nicht bemerkt habe, das sei dahingestellt...
- Sibylle Starkbaum, 12-2006
“migration monday”: KITCHEN STORIES” 8
Jüdisch-Leben und Jüdische Kultur und Wien
Gastgeberin: Eva Brenner, Leiterin des PROJEKT THEATER STUDIOS / FLEISCHEREI - Gast: Deborah Gzesh, Künstlerin, Leiterin des Tschik Tschak jüdischen Festivals in Wien - Gastmahl: Blintzes und Borscht
Begonnen wurde mit dem „Basteln“ von Chanukia, d.h. Kerzenständer für das jüdische Weihnachtsfest, wobei Deborah das Ritual erklärte und erzählte, dass ihre Familie so arm war, dass diese Kerzen zuhause gemacht wurden… Während sie am Teig der Blintzes rührte und begann, mit großer Kunst hauchdünne Palatschinken, wie wir sie kennen, fabrizierte, befragte ich Deborah über ihre Familie, die teils aus Polen, teils aus Lettland und Russland stammte und schon Ende des vorletzten Jahrhundertwende in die USA auswanderte. Sie entflohen Pogromen und Armut in Osteuropa und begannen in den USA ein neues Leben. Während Deborah erzählt, braten die Blintzes gemütlich vor sich hin und das Publikum wird hungrig. Die Kuratorin Chrissi Schnell projizierte Dias der Großfamilie von Deborah and die Große Stirnwand des Raums, Deborah spielte Kletzmer Musik vom Band, trug ein jüdische Lied vor und redete von ihrer jüdischen Identität, die sich innerhalb der Jungebewegung der 70er Jahre in Chicago, wo sie aufwuchs, formierte und bis heue lebendig ist. Ihre Lehrer und Vorbilder waren Künstler und Intellektuelle, die zu Verfolgten der Gesetze gegen die Kommunisten in den USA/Senator Joseph McCarthey zählten. Später ging Debbie nach Israel und arbeitet in der Kibbuz Bewegung, entschied sich jedoch, nicht in Israel zu blieben und stattdessen Kunst in New York zu studieren. Nach Wien kam sie aus Zufall über einen Sommerurlaub, traf hier ihren zukünftigen Mann und lebt seitdem glücklich mit ihrer Familien und ihren Kindern in Wien sich zu bleiben. Bis heute bereut sie diesen Entschluß nicht, erzieht ihre Kinder sowohl österreichisch, worauf die Großmamma besteht, als auch jüdisch, weil sie ihnen „eine kulturelle Identität vermitteln will“ - mit der Observanz aller wichtigen jüdischen Feitertage.
Nach einer ungewöhnlichen und spannenden theatralen Improvisation nach Elfriede Jelineks monumentalem Textgebilde „Das Werk“ von über 20 Minuten, das Eva Brenner mit dem gesamten Publikum anleitete, folgte eine auf- und angeregte Diskussion über Deborahs Erzählungen. Darunter fanden sich wohlwollende Reaktionen und interessierte Fragen über jüdische Tradition und Rituale als auch stereotype antisemitische Äußerungen österreichischer BesucherInnen über die angebliche Geld- und Geltungssucht von „Juden“, die es der Runde schwer machten, angemessen zu entgegnen. Als erschreckendes Merkmal des Abends, der ansonsten äußerst lebendig und großteils harmonisch verlief, bleibt das Gespenst eines wachsenden täglichen Rassismus und Antisemitismus, der im Gewand harmloser „Alltagsmeinung“ das soziale und kulturelle Klima vergiftet. Insgesamt stellte der Abend einen wesentlichen Beitrag zur Kult-Programmschiene „migration mondays“ dar - als Zoom bisheriger Diskurse und als Hinterfragung gängiger Vorurteile, dem der Ruf nach Bekämpfung hinterher eilt…
- Eva Brenner, November 2006
“migration monday”: KITCHEN STORIES” 6
6. November 2006
Afrikanisch-Leben in Wien
Gastgeberin: Maren Rahmann, Ensemblemitglied PROJEKT THEATER STUDIO / FLEISCHEREI - Gast: Théophile Kondolo (DR Kongo) - Gastmahl: Afrikanische Spezialität
Meinen Abend der „migration mondays“ hab ich als ziemlich herausfordernd und chaotisch empfunden - also Kochen und Sprechen, Moderieren etc.... Alles gleichzeitig. Das war zum Teil eine komplette Überforderung, zumal mein Gesprächspartner des Öfteren einfach verschwunden war… Viele Dinge, die ich mir vorgenommen hatte, waren schwierig oder gar nicht zu realisieren. z.B. das geplante interaktive Ritual “ Allianzen“ (Gruppenfotos zu bestimmten Begriffen, wo sich jede/r selbst einer Gruppe zuordnet) konnte ich leider nicht durchsetzten. Andererseits bringt einen das Kochen auch immer wieder ins hier und jetzt und auf die Erde. Eine gewisse Gelassenheit setzt ein, weil es nicht anders geht, sonst brennen die Bananen an...
Ich persönlich habe sehr profitiert von der Begegnung und Auseinandersetzung mit Theo. Über den Kongo: Ich denke die wechselhafte Geschichte dieses reichen Landes spiegelt exemplarisch die unheilvolle Entwicklung eines durch grausamste Kolonisation und Ausbeutung geschädigten teils Afrikas wider und die unglaubliche Rohheit und Überheblichkeit der europäischen Kolonisatoren und Nutznießer. Wie der hoffnungsvolle Aufbau eines afrikanischen Sozialismus durch den Landeshelden Lumumba durch dessen Ermordung zerstört wird und der Krieg um die Ausbeutung der Kongolesischen Rohstoffe bis heute die Bevölkerung leiden lässt. („Afrika ist Opfer seines Reichtums“ Aminata Traore)
Über Theos Migrations-Geschichte: Dass ein Afrikaner seit 26 Jahren in Österreich lebt, weil er die Kinder eines verstorbenen Verwandten und Diplomaten großzieht, widerspricht typisch europäischen Vorurteilen über die Migrationshintergründe eines „typischen afrikanischen Migranten“.
Besonders berührend fand ich sein Geständnis, dass er - obwohl er seit über 20 Jahre nicht mehr in seiner Heimat war - in Gedanken immer dort ist und eine sehr starke Bindung an seine Familie hat.
“migration monday”: KITCHEN STORIES” 5
30. Oktober 2006
Thai Abend Pom und Katka und Andi (Poms Ehemann)
Zwei Tage vor der Explosion
Spaziergang durch die dufte des Brunnenmarktes
Entspannend, durchdacht,
und frei den Gedankenfluss treiben lassend.
Zum Nachdenken gab es die kommenden Tage...
Montag dreißigster Oktober
Vorbereitungen nähern dem "Ende" oder besser gesagt dem Anfang. Tische sind vorbereitet, Leute kommen rein, lassen sich überraschen, was sich die multilinguale Crew ainfallen hat lassen. Verwöhnung durch einen thai- Trank- Whiskey, und als Apperitiv wird literarisch Jelinek - "Das Werk" serviert. Wir fangen an zu kochen und reden übers Kommen und Gehen...Übers verlassen und neue Welten Erfahren, über TukTuk, Heirat, Könige und Armut.
Gekocht wird Reis und zwei Pfannen Fleisch, eine für die, die es gerne scharf haben, die andere eher auf die sanfte Art und Weise.
Die Sprachbarrieren wurden locker gelöst durch Kenntnisse vom Poms Ehemann, der aber am Ende erfahren hat, dass Pom doch selbstständich (obwohl sie in Österreich nur 4 Monate ist) mit Händen und Füßen vieles erklären kann.
Atmosphäre im Raum wird angenehm und eskaliert mit einem thai-Tanz auch auf der Kirchengasse.
Angenehmer Abend mit angenehmen Leuten.
In paar Minuten- nach dem Tanz- hat man sich dann die Bäuche füllen können
Dessert- eine Eispezialität in Form von Kugeln und kleinen Nudelchen.
Die Angst vorm Publikum wurde also mit der Zeit verkocht.
“migration monday”: KITCHEN STORIES” 3
Griechenland 2006 oder Das Ende der Illusionen
Es ist tatsächlich schwer mit der europäischen Tradition der griechischen Antike (die zu der eigenen gemacht worden war) zu brechen und, dass die Griechen hier und jetzt leben und keine komplementaire Kulisse für die Touristen sind, zu zeigen.
Ihre Traditionen sind so lebendig wie auch wage, so offenherzig wie auch konservativ.
Die Griechen als Träger der europäischen Kultur „zu Hause“ und als benachteiligte Migranten so bald sie ihr Land verlassen sollten. Eins ist sicher: ihre Referenz auf dieses Land hat sie immer geprägt, hat ihnen in schwierigen Zeiten Mut gemacht, hat sie mit Stolz erfüllt, aber gleichzeitig auch eingeengt.
So bleibt z.B. die Auseinandersetzung mit dem Einfluss von „fremden“ kulturellen Elementen auf der Strecke und das Autonome und Autochthone wird hervorgehoben.
Der antike „traditionelle“ Geist der kombinatorischen Offenheit, der Flexibilität und der „Filoxenia“* hat sich einem defensiven Nationalismus unterworfen.
Seit wann gibt es Olivenbäume? Sind sie nicht das Symbol für ein kulturelles Kontinuum im Mittelmeerraum? Das Olivenöl kann sich leisten, gegenüber dem Wandel der Zeiten, sich indifferent zu verhalten, die griechische Identitätsbildung je doch nicht.
Man lernt nie aus der eigenen Geschichte, man kennt sie meistens nicht einmal. Und die Geschichte Griechenlands ist eine sehr lange und sehr komplizierte. Und so bleibt dieser unmittelbare Nachbar für die anderen Europäer der große Unbekannte, und vielleicht für sie selber auch!
*Xenos: der Fremde/ der durch Bewirtung und Gastfreundschaft gewonnener Freund
- Agorita Bakali, November 2006
“migration monday : KITCHEN STORIES” 2
„Orangen schälen, Käse raspeln, Teig für die Crêpes schlagen: die ZuschauerInnen haben sich am sinnlichen Kochprozess beteiligt. Der Ablauf des Abends wurde vom Publikum selbst gestaltet: sie zogen eine Karte mit einem Auszug aus Jelineks "Das Werk" und lasen diesen laut vor. Das Thema desselben war die Überleitung zu Fragen an und Erzählungen von Clélia Colonna. Viele brisante Themen wurden dabei angesprochen. Als Pauseneinlage gab es eine kurze Performance über Tischmanieren auf französisch und deutsch. Zu später Stunde wurde mit Cognac die rege Diskussion für ein erstes abgeschlossen. Dazu wurden
die von Clélia fotografierten Identitätsbilder der ZuschauerInnen gezeigt und ihre Antworten über Frankreich vorgelesen.”
- Birgit C. Krammer, 9.10.2006
“migration mondays : KITCHEN STORIES” 1
mit Werner Rotter (A), Beatrice Achaleke (Kamerun)
Dem 2. Oktober in der Fleischerei ist ein Ereignis voran gegangen, das von mehr Bangigkeit begleitet war als der Beginn der Serie „migration mondays“, nämlich die Nationalratswahlen am Tag davor. Im Vorfeld der Veranstaltung ergab sich in den Gesprächen mit Beatrice Acheleke, sie kommt aus Breitensee und ist Obfrau der „Schwarze Frauen Community“ (SFC), dass die Planung des Ereignisses nicht so ablaufen wird, wie es sich die VeranstalterInnen ausgedacht haben. Sie werde bestimmt nicht kochen und sie will auch nicht dass eine andere Schwarze Frau ein gleiches mache. Noch weniger werde sie eine Leidensgeschichte, erst recht nicht ihre eigene konsumfertig verköstigen.
Stattdessen berichtete Frau Acheleke über das Prinzip der Selbstermächtigung und der Selbstdefinition. Die SFC wartet nicht, bis Schwarzen Frauen ein Platz in der Gesellschaft zugewiesen wird, sie positionieren sich selbst. Sie warten nicht, bis ihnen eine Fremdbezeichnung entspricht, sondern sie definieren sich selbst und erwarten Respekt dafür. Das scheint alles so selbstverständlich zu sein, allein beim Wort, das mit N beginnt und keineswegs leger endet, schieden sich die Geister. Frau Acheleke beharrte einem teilweise erstaunten Publikum gegenüber darauf, dass dieses Wort in ihrer Gegenwart nicht verwendet wird.
Das Kochen wurde so gehandhabt, dass Mariama Cisse das Catering besorgte, während der Moderator eine Packung biologischen, fair gehandelten Reis elendiglich zubereitete. Zum Abschluss verteilte sich das Publikum auf zwei gegenüberliegenden Straßenecken und rief sich all die Themen zu, die für die Wahl entscheidend waren und all dieses, was die einzelnen Personen als BundeskanzlerIn zuerst ändern würden. Was Wunder, dass so mancher Gast der umliegenden Schanigärten sich an diesem lauen Oktoberabend erstaunt zeigte.
- Werner Rotter, 2. 10. 2006