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© Blind Spot E² 2007

PROGRAMM HERBST 2007: SCHWERPUNKT OSTASIEN

CREATING ALTERNATIVES
Ein Projekt von „THEATER OF EMPOWERMENT“
Soziotheatrale Forschung & Entwicklung in der FLEISCHEREI
Zum Thema Migration, Integration & Partizipation

Format II: “migration mondays : the ancestors speak” [1-4]

Cooking-Shows mit biografischen Erzählungen von MigrantInnen

Jeweils Montag, am 5., 12., 19. & 26. November
ab 19 Uhr non Stop (pay as you wish)


KuratorInnen: Andreas Pamperl (A), Sun Sun YAP (SGP)

Fortsetzung der Kultserie interaktiver Cooking-Shows mit KünstlerInnen und MigrantInnen. Beleuchtet werden Dis/Kontinuitäten migrantischer Identitätsbildung, inszeniert in spontanten theatralen „Auftritten“ authentischer wie fiktiver „AhnInnen“-Figuren, die - von den migrantischen KünstlerInnen selbst dargestellt - in Dialog mit dem Publikum treten.

Die geladenen KünstlerInnen sind PerformerInnen des theatralen Rituals "THE WANDERING GHOSTS 1 / International Halloween Party" (31. Oktober, siehe FLEISCHEREI_mobil).
In Zusammenarbeit mit VertreterInnen von frauen- und migrationspolitischen NGOs.

… MigrantInnen kochen eine Speise ihres Herkunftslandes und erzählen die Geschichte/n ihres Exils ... eine „Theaterwerkstatt” im Vorfeld für KünstlerInnen und Interessierte vertieft den Prozess… Die „Migration” der Menschen wird durch den „Auftritt” einer theatral gestaltete AhnInnen-Figur – von der geladenen KünstlerIn in Szene gesetzt – erhellt... Die „AhnInnen”  schaffen den historischen Kontext aus authentischer Perspektive…  Soziotheatrale Rituale und Lesungen beziehen das Publikum mit ein ... Gemeinsames Essen & Trinken, Diskussion & Aktion im öffentlichen Raum vor der FLEISCHEREI beschließen den Abend.

„CREATING ALTERNATIVES“ [2007-2009] ist ein Projekt von “THEATER OF EMPOWERMENT” - Zwei-Jahreszyklus für soziotheatrale Forschung [2007-2009] in der FLEISCHEREI mit Thema „Migration, Integration und Partizipation“. Erforscht werden theatrale Arbeitsmodelle, um Ausdrucksformen für Probleme von Migration und Folgen aktueller Völkerwanderungen in Europa zu finden sowie kreative Alternativen zu formulieren. Seit 2007 experimentieren interkulturelle und migrantische Gäste mit vier neuen Arbeitsformaten (siehe auch FLEISCHEREI_mobil und Special Events).

Programm Frühjahr 2007

Arbeitsformat 1: “migration mondays : KITCHEN STORIES“ [10-17]

Interaktive Cooking-Shows mit biografischen Erzählungen türkischer MigrantInnen der 1., 2. & 3. Generation in Wien

Kuratorin & Moderatorin: Nuray Ammicht (A/TR)
Zeit: jeden Montag ab 19 Uhr, pay as you wish
Ort: FLEISCHEREI & im öffentlichen Raum

 

Im Frühjahr 2007 setzt die FLEISCHEREI die Kultserie „migration mondays : KITCHEN STORIES“ [10-17] mit einer 2. Staffel wöchentlicher Open House Events fort. Seit Juni 2006 kamen über 600 Besucherinnen zu 10 theatralen „Cooking Shows“ mit KünstlerInnen und MigrantInnen aus 15 Ländern in der FLEISCHEREI zusammen.

Ab 19. Februar 2007 begrüßt nun die österreichisch-türkische Künstlerin und Kuratorin Nuray Ammicht zahlreiche Gäste aus den Bereichen Kunst, Politik, Wirtschaft, Soziale Bewegungen und NGOs. Sie führt als Moderatorin durch die Abende, bringt sich als Sängerin und Akteurin ins Spiel und bezieht das Publikum aktiv mit ein. Türkische MigrantInnen der 1., 2. und 3. Generation kochen eine typische Speise ihres Herkunftsortes und erzählen dabei Geschichten ihres Exils/ihrer Flucht und ihrer Lebensweisen in Wien. Die Erzählungen von Mitgliedern der Mehrheit wie auch Minderheiten (Kurden, Armenier, Aleviten) thematisieren die Rolle der Türkei im aktuellen kultur/politischen Diskurs Europas. Neben kulturtheoretischen Fragen wird der Alltag von TürkInnen in Wien über authentische Musik - von türkischer Klassik bis Pop - und traditionelle Bräuche und Rituale erfahrbar (z.B. Brautwerbung oder „Hennanacht“). Am Ende der soziotheatralen Performances steht das gemeinsame Essen und Trinken bei freiem Eintritt.

Mit dem Schwerpunkt Türkei und türkische Migration wird das Arbeitsformat inhaltlich konzentriert und künstlerisch vertieft. Theatrale Interventionen aus der neuen „TheaterWerkstatt“ zum Thema „Türkei“ ergänzen die Cooking-Shows, wobei das Ensemble eine Szenenfolgen nach Texten des autobiografischen Romans „Istanbul. Erinnerungen an eine Stadt” (2003/2006) von Orhan Pamuk (*1952), Literaturnobelpreisträger 2006, erarbeitet. Die strukturieren den Ablauf und geben Impulse für den Dialog mit dem Publikum über Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Türkei in einer erweiteten EU. Das Theaterensemble des VZA unter der Regie von Emel Heinreich (A/TR) zeigt Ausschnitte aus der Probenarbeit: junge TürkInnen der 2. & 3. Generation erarbeiten ein theatrales „Hochzeitritual“ zum Thema Zwangsheirat, das im März 2007 uraufgeführt wird.

 

„Seit ich denken kann, ist diese Stadt von Armut gekennzeichnet, von Untröstlichkeit über den Verfall des Reiches, von der Melancholie, die von den Überresten aus großer Zeit ausgeht. So bin ich seit jeher damit beschäftigt, diese Melancholie zu bekämpfen, oder mich dann doch, wie alle Istanbuler, ihr endlich hinzugeben.“ – Istanbul, Orhan Pamuk, S. 13

 

Die räumliche Neugestaltung rückt den großen Schlachttisch - das Markenzeichen der FLEISCHEREI - in die Mitte des Raumes, sodass Gäste, KünstlerInnen und Publikum gemeinsam Platz nehmen können. Eine alte Türkeikarte an der Stirnwand lädt Gäste ein, einen „Türkei-Test“ zu bestehen, für richtige Antworten („Wo ist Antalya? Wo ist Istanbul? Wer sind die Nachbarn der Türkei?“) gibt es symbolische Geschenke. Nach diesem Quiz, der stereotype Vorurteile abbauen helfen soll, „prüfen“ TürkInnen die WienerInnen… Die Cooking-Shows werden auf Video aufgezeichnet und permanent auf 10 Videomonitoren in den großen Auslagen der FLEISCHEREI ausgestrahlt.

 

FEBRUAR 2007

19. Feb. Dr. Haydar Sari (SPÖ), Leiter des Referats „Interkulturelle und internationale Aktivitäten“ im Kulturamt der Stadt Wien

26. Feb. Gesichter einer Stadt: „Istanbul“ stellt sich vor! Diskussion und Kochen mit Seher Cakir (Schriftstellerin) und Isabel Centoglu (Germanistin), untermalt durch türkische Lieder, szenische Lesung, Performance.

MÄRZ 2007

05. März Nahide Kohlhofer (Büroangestellte)

12. März Mag.art. Sinan Gültekin (Akademie der Bildenden Künste, Wien)

19. März Hatice Sahin-Ilter (Dolmetscherin, muttersprachl. Beraterin in der Rudolfsstiftung

26. März Semsi Sümbültepe (Kaufmann) Pergast Lebensmittelgrosshandel

APRIL 2007

02. April Mag. Hakan Yavas (Clown, Schauspieler und Regisseur)

16. April Dernière & Ausblick – Gäste der 7 „migration mondays“und Mitglieder von Integrationsinitiativen sind zu einer Abschlussdiskussion mit Fest geladen.

 

Ein Gespräch der Serie „KunstImDialog“, gefördert vom Wissenschafts-und Forschungs-Ressort des Kulturamtes der Stadt Wien, führt ExpertInnen wie Barbara Frischmuth, Wolfgang Müller-Funk, Haydar Sari mit Gästen und Publikum der „migration mondays“ zu einer Rück- und zugleich Vorschau zu dem Thema „Türkei & Europa“ zusammen.

 

„Vorurteile sind nach wie vor eine der Hauptursachen vieler Probleme, gerade dort wo verschiedene Kulturen aufeinander treffen. Ein kleiner, alltäglicher Fehler, den Menschen machen mögen, kann zur kollektiven Verurteilung eines ganzen Volkes führen, obwohl man in Wirklichkeit so gut wie nichts über dieses weiß. Seit mehreren Jahrzehnten leben MitbürgerInnen türkischer Herkunft in Wien. Sie gründen Familien, beteiligen sich am Wirtschaftsleben, sind politisch und künstlerisch aktiv, leben zum Teil fast schon in eigenen „Vierteln“…. Wie gut kennen wir sie? Was wissen wir über die Türkei und ihre Menschen? Was kennen wir von der türkischen Kultur, außer den herkömmlichen Klischees - den Kebab oder den Bauchtanz?“ – Nuray Ammicht

 

Nuray Karabay – Ammicht (A/TR), Sängerin, Schauspielerin, Pädagogin. Geb. in Ankara, Türkei. Ab 1982 Theaterstudium in Ankara sowie Bewegungsimprovisation, Schauspieltätigkeit und Gesangsausbildung an der Musikhochschule Ankara. Ab 1991 Stipendium an der Musikhochschule in Wien. Seit 1998 verschiedene Engagements - u.a. Wiener Neue Oper, Wiener Kammeroper, Sommerfestspiele in Bad Ischl; Mitwirkung an einem Romaprojekt in Graz, Theaterbrücke und Interkulttheater. Unternehmens- und Improtheater. Derzeit Unterrichtstätigkeit am Vienna Konservatorium.

 

 

Protokolle migration mondays : KITCHEN STORIES [10-17]

- redigiert von Nuray Karabay-Ammicht, April 07 -

 

Als Schwerpunktthema der zweiten Staffel der Kultserie „migration mondays :  KITCHEN STORIES [10-17]“ in der FLEISCHEREI wurde die Türkei gewählt.  Das Programm setzte sich aus sieben Abenden zusammen, die sieben verschiedenen Regionen zugeordnet waren. Um ein möglichst vielseitiges Bild der Türkei zu zeigen, habe ich an acht Abenden sieben MigrantInnen eingeladen, die aus diesen sieben Regionen stammen. Gemeinsam haben wir uns mit regionalen Traditionen, Sehenswürdigkeiten, Klima, Kultur und auch der Küche der jeweiligen Region auseinandergesetzt.

Grundstruktur der Abende: Den oben genannten Themen folgend, wurde das Leben des jeweiligen Gastes von der Kindheit bis zur Gegenwart nachgezeichnet. An jedem der Abende wurde eine besondere Tradition oder Ritual (Kina-Nacht, Tanz, Beerdigung) präsentiert und das Publikum mit einbezogen. Theatrale Interventionen mit Texten aus dem Roman „Istanbul. Erinnerungen an eine Stadt“ von Orhan Pamuk wurden für jeden dieser Abende vorbereitet. Anschließend wurde gemeinsam gegessen. Zum Abschluß des Abends konnte das Publikum mit einer/m Experten/in zum Thema „MigrantInnen in Österreich“ diskutieren.

 

19. Februar 2007

Gast:  Dr. Haydar Sari (SPÖ), Leiter des Referats „Interkulturelle und internationale Aktivitäten“ im Kulturamt der Stadt Wien

Gericht: Zucchini, Bulgur und Cacik(Tsatsiki)

Tradition/Ritual: „Zucker-Fest“, Süßigkeiten und „Eau de Cologne“

Haydar Sari kommt aus Mittelanatolien und hat seine Jugend bis zum Schulabschluss in Yozgat auf einem Bauernhof verbracht. Sein Vater arbeitet später in Wien, Haydar Sari folgt ihm im Alter von 17 Jahren. Sein erster Eindruck von Wien ist geprägt vom Schock über die Wohnsituation des Vaters. Er beginnt Deutsch zu lernen und zu studieren, da sein Vater möchte, dass er eine gute Ausbildung erhält. Das Studium finanziert Sari mit Nebenjobs. Schon während seines Studiums engagiert er sich für die Gleichberechtigung von MigrantInnen. Er baut die Abteilung für internationale und interkulturelle Aktivitäten mit auf, die er heute leitet. Er ist verheiratet und hat ein Kind.

Als zweiter Gast kommt Hubert Krammer vom Verein Tangram/Multikulturelles Netzwerk dazu. Er erzählt von seiner Arbeit in der Parkbetreuung, Freizeitbetreuung, und Beratung und Vermittlung von Jugendlichen. Es kommt zu einer ausführlichen  Diskussion über das Tragen von Kopftuch der muslimischen Frauen, freie Religionsausübung und damit verbundenen Ideologien. Die Diskussion ist emotional sehr aufgeladen. Auch die österreichische Gesetzgebung bezüglich MigrantInnen wurde heftig diskutiert.

 

26. Februar 2007

Gesichter einer Stadt: „Istanbul“ stellt sich vor!

Gast: Isabel Centoglu, Dramaturgin

Gericht: Kichererbsen mit Reis, es wurde gemeinsam gesungen und getanzt.

Tradition/Ritual: Tradition des Kaffeetrinkens

Isabel Centoglu: “Am 19. Februar erzählte Dr. Haydar Sarı von seiner Geburtsstadt und von seinen anfänglichen Erlebnissen in Wien. Ich wollte am 26. Februar die Perspektive wechseln,  indem ich von meinem Leben in Istanbul erzählte. Ich bin als Kind einer deutschen Mutter und eines türkischen Vaters in Istanbul geboren und habe bis zu meinem  21. Lebensjahr in dem Vorort Yeşilköy gelebt. In diesem alten Ort wohnten und wohnen heute noch viele Menschen mit verschiedenen Religionen, deshalb hat dieser Ort auch drei Kirchen. Diese und andere Sehenswürdigkeiten des Orts wurden anhand von Fotos gezeigt. Yeşilköy ist nicht der einzige Ort, wo Minderheiten leben. Im Stadtteil Balat findet man noch heute deren Spuren. In Fener ist der Sitz des ökumenischen Patriarchen. Zum Schluss gab ich Tipps zum Besuchen der Sehenswürdigkeiten. Durch die wunderschönen Fotos waren die Gäste gerne bereit sich diese anzusehen.“

Als zweiter Gast war an diesem Abend Hikmet Kayahan vom Verein „Zara“ eingeladen, der über seine Arbeit gegen Rassismus erzählte. Er sprach von den Schwierigkeiten mit der Finanzierung des Vereins durch die öffentliche Hand, da einige der Angebote, etwa die Sensibilisierungsarbeit an Schulen, nur gegen Bezahlung angeboten werden kann. Zitat:“Es wird  mehr Geld für Tiere als für die Arbeit gegen Rassismus ausgegeben“.

 

05. März 2007

Gast:  Nahide Kohlhofer, Büroangestellte

Gericht: Dolma und Gemüsesuppe, Bulgur mit Sucuk und spinat-Cacik, Helva

Tradition/Ritual: Henna-Nacht (Abschied von der Jungfräulichkeit)

Nahide Kohlhofer kommt aus dem Norden der Türkei, Region Schwarzes Meer.

Ausgehend von ihrer Geburtsstadt  Samsun (genauer: dem Dorf  Bölme Pinar)  wurde die  Region mit ihren Besonderheiten beschrieben. (Speisen, Einwohnerzahl usw.) Nahide wurde von ihrem Vater nach Wien zwangs-verheiratet und wohnte im Haus ihres Schwiegervaters. Zwei Jahre später kam ihr Mann ins Gefängnis und wurde in die Türkei abgeschoben. Nahide blieb mit ihren zwei Kindern alleine in Wien. Ein Frauenhaus bot ihr während der Scheidungszeit Schutz an. Sie begann zu arbeiten, um überleben zu können, und schaffte es, sich bis zur Filialleiterin hinaufzuarbeiten. Mittlerweile ist Nahide zum dritten Mal verheiratet.

Nahide Kohlhofer wechselte am Ende des Abends ihr Gewand und zog ein Dirndl an. Für Nahide war dies der Ausdruck für ihre Veränderung. Österreich ist jetzt ihre Heimat.

Michael Genner von Asyl in Not war zweiter Gast. Er gab einen Bericht über die Probleme von Asylwerbern aus aller Welt und nannte einige schockierende Beispiele.

 

12. März 2007

Gast: Mag.art. Sinan Gültekin (Akademie der bildenden Künste, Wien)

Gericht: Fleischlaibchen auf Izmir-Art, Reis und Salat

Tradition/Ritual: Am-Boden-Essen

Zunächst erzählte Sinan über die Ägäis-Region, in der viele Traditionen und Kulturen aufeinander treffen. Vor allem der griechische Einfluss hat sich hier bemerkbar gemacht. Heute ist es eine sehr touristische Region. Sinan selbst ist in Izmir aufgewachsen. Seine Kindheit ist geprägt vom Zwiespalt zwischen seiner erfolgreichen Fussball- Karriere und seiner künstlerischen Begabung. Er entscheidet sich schließlich für die Kunst. Neben Photos der Region werden auch Photos von Sinans Arbeiten gezeigt. Sinan geht zum Studieren nach Wien, schafft die Aufnahme an die Akademie der bildenden Künste und  kann durch die Unterstützung seiner Professoren das Studium auch beenden. Er bleibt nach Beendigung seines Studiums in Wien. Derzeit unterrichtet er an einer Wiener Schule bildnerische Erziehung. Er war mit einer Österreicherin verheiratet, seit seiner Scheidung lebt er alleine. Er ist glücklich, in Österreich zu sein. Seine Erzählungen sind durchwegs positiv. Seine persönlichen Konflikte als Migrant in der österreichischen Gesellschaft kommen nicht zur Sprache.

Der zweiter Gast war Ayse Aktuna vom Verein „Miteinander Lernen“. Sie erzählte vor allem von ihrer Arbeit. Da ihr Bericht auch keine Reflexion der Probleme von MigrantInnen enthielt, kam es zu einer Diskussion über das Ziel und die Absicht der migration mondays.

 

19. März  2007

Gast: Hatice Sahin-Ilter, Dolmetscherin

Gericht: Kissir, Zigaretten-Börek und Salat

Tradition/Ritual: Semah- Tanz, gemeinsam getanzt

Im Alter von 7 ist Hatice Sahin-Ilter zusammen mit ihrer Mutter und ihrem älteren Bruder nach Österreich gekommen. Der Vater arbeitete zuvor schon als Arbeiter am Bau in Österreich. Der jüngere Bruder wurde in Österreich geboren. Einige Zeit später starb der Vater bei einem Arbeitsunfall. Die Mutter versuchte anschließend die Familie alleine zu ernähren. Nach dem Essen spricht Hatice Sahin-Ilter über den Tod ihres jüngeren Bruders, Benali Ilter. Er war psychisch krank und wurde von der Polizei auf offener Strasse erschossen. Der Kampf um die (un)gerechte Verurteilung des Polizisten, der den Bruder erschossen hat, prägt seither das Leben der Familie Ilter. Das Publikum war an diesem Abend von den Erzählungen des Gastes sehr ergriffen, eine Frau aus dem Publikum erzählte von ihren schmerzhaften Erfahrungen mit der psychischen Behandlung ihrer ausländischen Tochter.

 

26. März 2007

Gast: Semsi Sümbültepe, Kaufmann, Pergast Lebensmittelgrosshandel

Gericht: Bohnen mit Fleisch, Reis und Salat

Tradition/Ritual: Begräbnisumzug

Semsi Sümbültepe ist auf einem Bauernhof in der Mittelmeerregion aufgewachsen. Der Vater kam zuerst nach Wien und holt seine zwei Söhne später nach. Semsi arbeitete bei seinem Vater in der Fabrik. Im Laufe der Jahre arbeitete er in den verschiedensten Branchen. Der Vater von Semsi Sümbültepe musste später zurück gehen, da er krank war. Semsi war folglich für den Unterhalt seiner Eltern und Geschwister verantwortlich und hatte sehr oft zwei Jobs gleichzeitig. Durch die Unterstützung eines befreundeten Geschäftsmannes konnte er sich selbständig machen. Semsi Sümbültepe ist heute als Geschäftsmann mit der Schwierigkeit konfrontiert, als liberaler Türke einerseits von den eigenen Landsleuten und andererseits von den Österreichern akzeptiert zu werden. Im zweiten Teil des Abends erzählte Semsi Sümbültepe von den politischen Schwierigkeiten seines Bruders und dessen Verhaftung, da er Anhänger der Kommunisten war. Im Zuge dessen entstand eine Diskussion über das politische Klima in der Türkei und der aktuellen Regierung.

 

2. April 2007

Gast:  Mag. Hakan Yavas, Clown, Schauspieler und Regisseur

Gericht: Fisolen und Bulgur mit Fleisch

Tradition/Ritual: Brautwerbung

Aufgewachsen ist Hakan Yavay in Salihli. Als Kind hatte er großes Interesse an Fußball und an Schauspiel. Er entschied sich für das Schauspiel und absolvierte nach der Matura eine Schauspielausbildung in Izmir. Er heiratete seine damalige Lebensgefährtin. Nach einigen Jahren Arbeit in der Türkei kam Hakan Yavas vor 13 Jahren nach Wien. Er begann zu studieren und arbeitete neben dem Studium als Kellner. Seit 2 Jahren ist er österreichischer Staatsbürger.  Neben der Arbeit als Schauspieler und Regisseur arbeitete er bei den Roten Nasen als Klinikclown.

Der Abend zeichnete sich durch Heiterkeit und Vielschichtigkeit aus. Im zweiten Teil wurden Aspekte des ausländischen Künstlers und die fehlende Unterstützung des Staates durch Subventionen für ein türkisches Theaters angesprochen. Die weitere Diskussion drehte sich um das Theater als Vermittlungsinstanz, Medien wurden auch als wichtige Tore zum Publikum genannt.

 

migration mondays : KITCHEN STORIES 1-9

Arbeitsformat 1 „ENE MENE MUH”

soziotheatrale Cooking-Shows

mit biografischen Erzählungen von MigrantInnen
in der FLEISCHEREI & im öffentlichen Raum, pay as you wish
jeden Montag ab 19:00 Uhr

Kuratorin: Christiane Schnell (A)

Mit „migration mondays : KITCHEN STORIES“ 1-9 setzt das Team der FLEISCHEREI die wöchentliche Kultserie in Form interdisziplinärer Open House events  zu aktuellen Themen fort.  Als Arbeitsformat 1 des Projektzyklus „ENE MEINE MUH“ (2006-08) zum Thema „Migration&Integration“  - eine  globalisierungs-kritische Befragung der Hintergründe und Folgen neuer Völkerwanderungen in Europa - präsentieren 9 interkulturelle Ensembles „Theatrale Cooking Shows“ mit MigrantInnen aus 13 Ländern.  KünstlerInnen der FLEISCHEREI führen als GastgeberInnen durch den jeweiligen Abend und beziehen auch das Publikum mit ein.  Die Gäste kochen eine typische Speise ihres Herkunftslandes und erzählen dabei Geschichten ihrer Flucht/ihres Exils.  Der „Migration“ der Menschen wird die „Migration“ (Nahrungskette) des verwendeten Grundnahrungsmittels gegenübergestellt.  Eine chorische Lesung aus Elfriede Jelineks Stück „Das Werk“ (2002) und das gemeinsame Essen und Trinken beschließen die soziotheatrale Performance.

Montag, den 25. September, 2006, ab 19 Uhr

Theater + Aktion + Musik + Gespräche + Speis + Trank

pay as you wish

Auftakt zur neuen Serie migration mondays : KITCHEN STORIES

in Kooperation mit dem "1. Wiener Lesetheater"
Leitung: Rolf Schwendter

mit Texten von Charles Ofoedu (Nigeria)

 

PROGRAMM OKTOBER 2006

2. Okt.     Werner Rotter (A, ÖNB) mit Beatrice Achaleke (Kamerun, SFC Schwarze Frauen Community)

9. Okt.      Birgit C. Krammer (CH) mit Clélia Colonna (F)

16. Okt.    Agorita Bakali (GR, zenith productions) mit Olga Hermine Kessaris (GR)

23. Okt.    Corinne Eckenstein (CH, fe/male polaroids) mit Nuray Ammicht (TR)

30. Okt.    Katka Csanyiova (SK) mit  Preeyanetr Dauth (Thai)

PROGRAMM NOVEMBER 2006

6. Nov.      Maren Rahmann (D) mit Theóphile Kondolo (DR Kongo)

13. Nov.    Andreas Pamperl (A) mit Dipl. Ing. Tofigh Ghoraischi (Iran)

20. Nov.    Eva Brenner (A/USA) mit Deborah Gzesh (USA, Tschik Tschak Festival, zenith productions)

27. Nov.    Sibylle Starkbaum (A) mit Abdelrahman Hawy (IRAQ)

Protokolle migration mondays : KITCHEN STORIES

„migration mondays : KITCHEN STORIES“ 9

27.11. 2006

mit Sibylle Starkbaum & Abdelrahman Hawy

Nach einiger Überlegung, wen ich denn zu dem Küchengespräch einladen könnte, fiel meine Wahl auf einen mittlerweile langjährigen Freund von mir, Abdelrahman Hawy, kurz: Hawy (wie das bekannte Wiener Cafe)

Kennen gelernt habe ich den 34-jährigen gebürtigen Iraker bei einem Projekt rund um „Gilgamesch“ im Lalish Theaterlabor, wo wir damals beide als Performer mitwirkten.

Hawy lebt seit mittlerweile fast zehn Jahren in Österreich, ist bildender Künstler und hat eine bewegte Geschichte hinter sich:

Flucht aus der Heimat während des ersten Irakkrieges, weil er den Wehrdienst unter Saddam Hussein´ s Regime verweigert hatte (und darauf stand die Todesstrafe!) Ankunft in Österreich und monatelange Schubhaft, danach allmähliche Integration durch Unterstützung der Caritas; Geburt von Tochter Sarah und Heirat mit Katharina, der polnischen Mutter des Kindes; Abschluss eines Studiums an der Hochschule für angewandte Kunst für Bildhauerei und Druckgraphik in Wien, Erhalt der österreichischen Staatsbürgerschaft Zahlreiche Ausstellungen und Präsentationen seiner künstlerischen Arbeit in Österreich.

Der Abend in der Fleischerei verlief aus meiner Perspektive konzentriert und trotzdem unterhaltsam: Anfänglich ist Hawy ziemlich aufgeregt über die uneingeschränkte Aufmerksamkeit der Zuhörer (als bildender Künstler ist er doch Arbeiten vor Publikum nicht gewohnt!!). Wir kochen schlicht, aber schmackhaft: Gemüse mit Cous Cous, orientalisch gewürzt, dazu gibt es Rotwein und Tee aus dem Samowar. Der Inhalt seiner Erzählung und auch die Art und Weise seines Berichtens sind spannend und gut verständlich (PING-), ihm dicht an den Fersen bringe ich mich mit unterstützenden Fragen, Kommentaren und inhaltlichen Impulsen ein (-PONG). Wir zeigen Bilder und Druckgraphiken seiner Schaffensperioden, chronologisch von der Zeit der Schubhaft bis zu Arbeiten der letzten zwei Jahre über Sufismus.

Nach der Essenspause folgen Photos von seinem letzten Besuch in Bagdad im Jahre 2003, zum runden Abschluss des Abendprogramms (und des gesamten Zyklus der „migration mondays“), lese ich den letzten Absatz aus „Das Werk“ von Elfriede Jelinek.

Mir zu Ohren gekommene Rückmeldungen der Anwesenden waren durchwegs positiv, die Speisen, das Gespräch und die Gesamtstimmung betreffend.

Anderserlebende haben sich vielleicht so zurückgenommen, dass ich deren Langeweile einfach nicht bemerkt habe, das sei dahingestellt...

- Sibylle Starkbaum, 12-2006

 

“migration monday”: KITCHEN STORIES” 8

Jüdisch-Leben und Jüdische Kultur und Wien

Gastgeberin: Eva Brenner, Leiterin des PROJEKT THEATER STUDIOS / FLEISCHEREI - Gast: Deborah Gzesh, Künstlerin, Leiterin des Tschik Tschak jüdischen Festivals in Wien - Gastmahl: Blintzes und Borscht

Begonnen wurde mit dem „Basteln“ von Chanukia, d.h. Kerzenständer für das jüdische Weihnachtsfest, wobei Deborah das Ritual erklärte und erzählte, dass ihre Familie so arm war, dass diese Kerzen zuhause gemacht wurden… Während sie am Teig der Blintzes rührte und begann, mit großer Kunst hauchdünne Palatschinken, wie wir sie kennen, fabrizierte, befragte ich Deborah über ihre Familie, die teils aus Polen, teils aus Lettland und Russland stammte und schon Ende des vorletzten Jahrhundertwende in die USA auswanderte.  Sie entflohen Pogromen und Armut in Osteuropa und begannen in den USA ein neues Leben. Während Deborah erzählt, braten die Blintzes gemütlich vor sich hin und das Publikum wird hungrig. Die Kuratorin Chrissi Schnell projizierte Dias der Großfamilie von Deborah and die Große Stirnwand des Raums, Deborah spielte Kletzmer Musik vom Band, trug ein jüdische Lied vor und redete von ihrer jüdischen Identität, die sich innerhalb der Jungebewegung der 70er Jahre in Chicago, wo sie aufwuchs, formierte und bis heue lebendig ist. Ihre Lehrer und Vorbilder waren Künstler und Intellektuelle, die zu Verfolgten der Gesetze gegen die Kommunisten in den USA/Senator Joseph McCarthey zählten. Später ging Debbie nach Israel und arbeitet in der Kibbuz Bewegung, entschied sich jedoch, nicht in Israel zu blieben und stattdessen Kunst in New York zu studieren. Nach Wien kam sie aus Zufall über einen Sommerurlaub, traf hier ihren zukünftigen Mann und lebt seitdem glücklich mit ihrer Familien und ihren Kindern in Wien  sich zu bleiben.  Bis heute bereut sie diesen Entschluß nicht, erzieht ihre Kinder sowohl österreichisch, worauf die Großmamma besteht, als auch jüdisch, weil sie ihnen „eine kulturelle Identität vermitteln will“ - mit der Observanz aller wichtigen jüdischen Feitertage.
 
Nach einer ungewöhnlichen und spannenden theatralen Improvisation nach Elfriede Jelineks monumentalem Textgebilde „Das Werk“ von über 20 Minuten, das Eva Brenner mit dem gesamten Publikum anleitete, folgte eine auf- und angeregte Diskussion über Deborahs Erzählungen. Darunter fanden sich wohlwollende Reaktionen und interessierte Fragen über jüdische Tradition und Rituale als auch stereotype antisemitische Äußerungen österreichischer BesucherInnen über die angebliche Geld- und Geltungssucht von „Juden“, die es der Runde schwer machten, angemessen zu entgegnen. Als erschreckendes Merkmal des Abends, der ansonsten äußerst lebendig und großteils harmonisch verlief, bleibt das Gespenst eines wachsenden täglichen Rassismus und Antisemitismus, der im Gewand harmloser „Alltagsmeinung“ das soziale und kulturelle Klima vergiftet. Insgesamt stellte der Abend einen wesentlichen Beitrag zur Kult-Programmschiene „migration mondays“ dar - als Zoom bisheriger Diskurse und als Hinterfragung gängiger Vorurteile, dem der Ruf nach Bekämpfung hinterher eilt…

- Eva Brenner, November 2006

“migration monday”: KITCHEN STORIES” 6

 6. November 2006

Afrikanisch-Leben in Wien

Gastgeberin: Maren Rahmann, Ensemblemitglied PROJEKT THEATER STUDIO / FLEISCHEREI - Gast: Théophile Kondolo (DR Kongo) - Gastmahl: Afrikanische Spezialität

Meinen Abend der „migration mondays“ hab ich als ziemlich herausfordernd und chaotisch empfunden - also Kochen und Sprechen, Moderieren etc.... Alles gleichzeitig.  Das war zum Teil eine komplette Überforderung, zumal mein Gesprächspartner des Öfteren einfach verschwunden war… Viele Dinge, die ich mir vorgenommen hatte, waren schwierig oder gar nicht zu realisieren. z.B. das  geplante interaktive Ritual “ Allianzen“ (Gruppenfotos zu bestimmten Begriffen, wo sich jede/r selbst einer Gruppe zuordnet) konnte ich leider nicht durchsetzten. Andererseits bringt einen das Kochen auch immer wieder ins hier und jetzt und auf die Erde. Eine gewisse Gelassenheit setzt ein, weil es nicht anders geht, sonst brennen die Bananen an...

Ich persönlich habe sehr profitiert von der Begegnung und Auseinandersetzung mit Theo.  Über den Kongo: Ich denke die wechselhafte Geschichte dieses  reichen Landes spiegelt exemplarisch die unheilvolle Entwicklung eines durch grausamste Kolonisation und Ausbeutung geschädigten teils Afrikas wider und die unglaubliche Rohheit und Überheblichkeit der europäischen Kolonisatoren und Nutznießer.  Wie der hoffnungsvolle Aufbau eines afrikanischen Sozialismus  durch den Landeshelden Lumumba durch dessen  Ermordung  zerstört wird und der Krieg um die Ausbeutung der Kongolesischen Rohstoffe  bis heute die Bevölkerung leiden lässt. („Afrika ist  Opfer seines Reichtums“ Aminata Traore)

Über Theos Migrations-Geschichte: Dass ein Afrikaner seit 26 Jahren in Österreich lebt, weil er die Kinder eines verstorbenen Verwandten und Diplomaten großzieht, widerspricht typisch europäischen Vorurteilen über  die Migrationshintergründe eines „typischen afrikanischen Migranten“.

Besonders berührend fand ich sein Geständnis, dass er -  obwohl er seit über 20 Jahre nicht mehr in seiner Heimat war - in Gedanken immer dort ist und eine sehr starke Bindung an seine Familie hat.

 

“migration monday”: KITCHEN STORIES” 5

30. Oktober 2006

Thai Abend Pom und Katka und Andi (Poms Ehemann)


Zwei Tage vor der Explosion
Spaziergang durch die dufte des Brunnenmarktes
Entspannend, durchdacht,
und frei den Gedankenfluss treiben lassend.

Zum Nachdenken gab es die kommenden Tage...

Montag dreißigster Oktober
Vorbereitungen nähern dem "Ende" oder besser gesagt dem Anfang. Tische sind vorbereitet, Leute kommen rein, lassen sich überraschen, was sich die multilinguale Crew ainfallen hat lassen. Verwöhnung durch einen thai- Trank- Whiskey, und als Apperitiv wird literarisch Jelinek - "Das Werk" serviert. Wir fangen an zu kochen und reden übers Kommen und Gehen...Übers verlassen und neue Welten Erfahren, über TukTuk, Heirat, Könige und Armut.

Gekocht wird Reis und zwei Pfannen Fleisch, eine für die, die es gerne scharf haben, die andere eher auf die sanfte Art und Weise.
Die Sprachbarrieren wurden locker gelöst durch Kenntnisse vom Poms Ehemann, der aber am Ende erfahren hat, dass Pom doch selbstständich (obwohl sie in Österreich nur 4 Monate ist) mit Händen und Füßen vieles erklären kann.
Atmosphäre im Raum wird angenehm und eskaliert mit einem thai-Tanz auch auf der Kirchengasse.

Angenehmer Abend mit angenehmen Leuten.
In paar Minuten- nach dem Tanz- hat man sich dann die Bäuche füllen können

Dessert- eine Eispezialität in Form von Kugeln und kleinen Nudelchen.

Die Angst vorm Publikum wurde also mit der Zeit verkocht.

 

“migration monday”: KITCHEN STORIES” 3

Griechenland 2006 oder Das Ende der Illusionen

 
Es ist tatsächlich schwer mit der europäischen Tradition der griechischen Antike (die zu der eigenen gemacht worden war) zu brechen und, dass die Griechen hier und jetzt leben und keine komplementaire Kulisse für die Touristen sind, zu zeigen.

Ihre Traditionen sind so lebendig wie auch wage, so offenherzig wie auch konservativ.

Die Griechen als Träger der europäischen Kultur „zu Hause“ und als benachteiligte Migranten so bald sie ihr Land verlassen sollten. Eins ist sicher: ihre Referenz auf dieses Land hat sie immer geprägt, hat ihnen in schwierigen Zeiten Mut gemacht, hat sie mit Stolz erfüllt, aber gleichzeitig auch eingeengt.

So bleibt z.B. die Auseinandersetzung mit dem Einfluss von „fremden“ kulturellen Elementen auf der Strecke und das Autonome und Autochthone wird hervorgehoben.

Der antike „traditionelle“ Geist der kombinatorischen Offenheit, der Flexibilität und der „Filoxenia“* hat sich einem defensiven Nationalismus unterworfen.

Seit wann gibt es Olivenbäume? Sind sie nicht das Symbol für ein kulturelles Kontinuum im Mittelmeerraum? Das Olivenöl kann sich leisten, gegenüber dem Wandel der Zeiten, sich indifferent zu verhalten, die griechische Identitätsbildung je doch nicht.

Man lernt nie aus der eigenen Geschichte, man kennt sie meistens nicht einmal. Und die Geschichte Griechenlands ist eine sehr lange und sehr komplizierte. Und so bleibt dieser unmittelbare Nachbar für die anderen Europäer der große Unbekannte, und vielleicht für sie selber auch!

*Xenos: der Fremde/ der durch Bewirtung und Gastfreundschaft gewonnener Freund
- Agorita Bakali, November 2006

 

“migration monday : KITCHEN STORIES” 2

„Orangen schälen, Käse raspeln, Teig für die Crêpes schlagen: die ZuschauerInnen haben sich am sinnlichen Kochprozess beteiligt. Der Ablauf des Abends wurde vom Publikum selbst gestaltet: sie zogen eine Karte mit einem Auszug aus Jelineks "Das Werk" und lasen diesen laut vor. Das Thema desselben war die Überleitung zu Fragen an und Erzählungen von Clélia Colonna. Viele brisante Themen wurden dabei angesprochen. Als Pauseneinlage gab es eine kurze Performance über Tischmanieren auf französisch und deutsch. Zu später Stunde wurde mit Cognac die rege Diskussion für ein erstes abgeschlossen. Dazu wurden 
die von Clélia fotografierten Identitätsbilder der ZuschauerInnen gezeigt und ihre Antworten über Frankreich vorgelesen.”

- Birgit C. Krammer, 9.10.2006

“migration mondays : KITCHEN STORIES” 1
mit Werner Rotter (A), Beatrice Achaleke (Kamerun)

Dem 2. Oktober in der Fleischerei ist ein Ereignis voran gegangen, das von mehr Bangigkeit begleitet war als der Beginn der Serie „migration mondays“, nämlich die Nationalratswahlen am Tag davor.  Im Vorfeld der Veranstaltung ergab sich in den Gesprächen mit Beatrice Acheleke, sie kommt aus Breitensee und ist Obfrau der „Schwarze Frauen Community“ (SFC), dass die Planung des Ereignisses nicht so ablaufen wird, wie es sich die VeranstalterInnen ausgedacht haben. Sie werde bestimmt nicht kochen und sie will auch nicht dass eine andere Schwarze Frau ein gleiches mache. Noch weniger werde sie eine Leidensgeschichte, erst recht nicht ihre eigene konsumfertig verköstigen.

Stattdessen berichtete Frau Acheleke über das Prinzip der Selbstermächtigung und der Selbstdefinition. Die SFC wartet nicht, bis Schwarzen Frauen ein Platz in der Gesellschaft zugewiesen wird, sie positionieren sich selbst. Sie warten nicht, bis ihnen eine Fremdbezeichnung entspricht, sondern sie definieren sich selbst und erwarten Respekt dafür. Das scheint alles so selbstverständlich zu sein, allein beim Wort, das mit N beginnt und keineswegs leger endet, schieden sich die Geister. Frau Acheleke beharrte einem teilweise erstaunten Publikum gegenüber darauf, dass dieses Wort in ihrer Gegenwart nicht verwendet wird.

Das Kochen wurde so gehandhabt, dass Mariama Cisse das Catering besorgte, während der Moderator eine Packung biologischen, fair gehandelten Reis elendiglich zubereitete. Zum Abschluss verteilte sich das Publikum auf zwei gegenüberliegenden Straßenecken und rief sich all die Themen zu, die für die Wahl entscheidend waren und all dieses, was die einzelnen Personen als BundeskanzlerIn zuerst ändern würden. Was Wunder, dass so mancher Gast der umliegenden Schanigärten sich an diesem lauen Oktoberabend erstaunt zeigte.

- Werner Rotter, 2. 10. 2006